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Struktur. Zeit. Bild – Bild. Zeit. Struktur

Winfried Herbst

Stadtmuseum Penzberg / 15. Juli bis 20. August 2006

Winfried Herbst zeigt in der Ausstellung, die vom 15. Juli bis 20. August 2006 im Stadtmuseum Penzberg zu sehen ist, Gemälde, Fotografien und Objekte aus verschiedenen Schaffensperioden. Spezifisch für dieses Ausstellungsprojekt entstandene Werke fügen sich neben früheren Arbeiten in ein künstlerisches Konzept, das um die Begriffe Struktur. Zeit. Bild – Bild. Zeit. Struktur kreist.

Auf die Frage, wann seine Gemälde fertig seinen, antwortet Winfried Herbst „irgendwann“, und auch die Aufnahme der Fotografien waren „irgendwo und irgendwann“; es geht um die bloße Existenz, dass „da sein“, wie er es nennt und wie er es formuliert: „Ich mache Bilder. Warum? Dass sie existieren.“

Dass diese Existenz schonungslos sein kann, zeigen seine frontal aufgenommenen Landschaftsfotografien. Der Betrachter verliert sich in weit laufenden Horizontlinien. Die Fotografien besitzen den Charme des Einzigartigen durch Details, die einfach „da“ waren, als Winfried Herbst sie als Motiv entdeckt hat. Eine kleine Wolke, ein Busch stören die sonst perfekte Horizontlinie nicht, sie machen sie einzigartig und besonders. Anders als die digitalen Fotografien eines Andreas Gursky, in denen jedes unperfekte Detail am Computer eliminiert ist. Unendliche Steinformen, unendliche Kohleformen sind festgehalten für einen Moment – für die Arbeit von Winfried Herbst: Fotografie als abgebildete Wirklichkeit, auch als Zustand eines Augenblicks.

Die Landschaftsdarstellung ist als Metapher für, wie Winfried Herbst sagt, eine „Möglichkeit von Existenz“ zu sehen. Dabei sieht er keinen eskapistischen Gedanken verfolgt, auch liegt ihm nichts an einer Stimmungsdarstellung, obwohl ein romantisches Element nicht abzustreiten ist. Es sind „Stimmungsbilder von etwas ganz normalen“, wie er seine Fotografien bezeichnet. Das Sujet ist der Augenblick, den es Festzuhalten gilt, um ihn für die Zeit, für die Erinnerung zu fixieren. Das Motiv oder der Ausschnitt, den er festhält, kann variiert wieder auftauchen. Es entstehen Serien und Reihungen, die eine Summe von Augenblicken zulassen.

Künstler Winfried Herbst Winfried Herbst zeigt ein Abbild der Wirklichkeit, die ohne ein Menschenbild auskommt. Dennoch ist man mit den menschlichen Aktivitäten konfrontiert, man sieht die Spuren, etwa von Landwirtschaftsmaschinen in der Hallertau. Und gerade das Aufreißen der Oberfläche, sieht man vor sich, wenn man die 2006 entstandenen Aufnahmen von Baustellen in der Kohlestadt Penzberg betrachtet. Die gewaltsamen und brutalen Eingriffe in das Erdreich zeigen eine schwarze Linie, das Kohleflöz, inmitten eines körnigen, aufgerauten und unruhigen Erdreichs.

Winfried Herbsts Landschaftsaufnahmen bestechen durch die Modulation von Schattierungen. Die Komposition, die der Künstler übersetzt, zeigt abstrahierende Formen wie die Fotografie Berg. Die Struktur der Landschaft, die Beschaffung der Oberfläche, die Winfried Herbst durch seine Kamera sieht, übersetzt er in die Fotografie. Zudem bearbeitet er die Positive mit aufwendigen chemischen Verfahren, so dass das Fotopapier selbst bearbeitet wird. Den haptischen Eindruck belegt der „Schnitt“, ein zugeschnittenes Detail eines Großformats, dass Susanne und Winfried Herbst den Einladungskarten zur Ausstellung beigelegt haben und auch in der Ausstellung selbst auslegen, ein Objekt zum Erfühlen der Fotografie. Das Material beeinflusst zweifelsohne die Wahrnehmung.

Während die Fotografien durch das schwarz/weiß in Distanz zur abgebildeten Wirklichkeit stehen und als so genanntes Lichtbild lediglich das Licht selbst abbilden, zeigen die Gemälde die Farbe intensiv in vielen Abstufungen. In verschiedenen überlagernden Schichten gelingt es Winfried Herbst, eine Oberfläche zu schaffen, die weder als Materialbild noch als Relief bezeichnet werden kann, es sind vielmehr Strukturbilder.

Winfried Herbst beschäftigt sich mit diesen Strukturen, mit der Gestaltung von Oberflächen, um das zugrunde liegende Wesen der Dinge zu offenbaren: das Wesen der Dinge, das Wesen des Materials und besonders Wesenszustände. Seine Leinwände sind demnach Träger einer Struktur. Das Rosenbild zeigt die Empfindlichkeit und Zerbrechlichkeit von Rosen vor einem rauen Untergrund. Kontraste, Korrelationen, Gegensätze erlauben Winfried Herbst seine lyrischen und auch romantischen Motive zu formulieren. Die harte und oft brutale Arbeitsweise hinterlässt Spuren, harmlose Ästhetik hat keine Chance.

Die Gemälde stehen allein durch ihre Beschaffenheit in Korrelation zu den Fotografien. Sind die Fotografien trocken und tief, besitzen die Gemälde eine glänzende, matte Oberfläche. Es entsteht ein Spiel von Variationen der Wahrnehmung, etwa in der Installation eines großformatigen monochrom-roten Gemäldes, vor dem ein rechteckiges Feld aus tiefschwarzer Kohle platziert ist, das sich wie ein Schatten zum Bild verhält. Der Kontrast ist bestechend, die rot glänzende, lasierte Oberfläche wird von der matten Kohle absorbiert. Darstellbare Gegensätze und – wie Winfried Herbst sagt – „Gegensätze, die sich nicht stören“ verfolgen eine Dramaturgie, die man ebenfalls in den einzelnen Raumfolgen der besprochenen Ausstellung verfolgen kann.

Wie die einzelnen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten in Winfried Herbsts Schaffen im Austausch stehen und sich ergänzen, so begreift man sogleich den Ausstellungsort, das Penzberger Stadtmuseum, als Zwiegespräch zwischen Künstler und Gegebenheit. Penzberg, die Stadt, das Stadtmuseum und die Kohle, wurden von Winfried Herbst bewusst angenommen und in sein Schaffen integriert. So sieht man auch in der Aufnahme des Stadtmuseums Winfried Herbsts Anliegen: das Dach, die Schindeln, der Zaun zeigen die Einfachheit des Elements, das durch seine Reihung zu einer reizvollen Struktur wird.

Die Rolle des Betrachters ist für Winfried Herbsts Konzeption ebenfalls ein beachtlicher Aspekt. Der Betrachter wirft seinen Schatten auf das Gemälde, die Veränderung des Lichts bewirkt ein Changieren der Farbe. Das Bild verändert sich, es scheint geradezu auf jede Bewegung, jede Veränderung der Lichtverhältnisse zu antworten, zahlreiche Nuancen werden offen. So ist die Interaktion des Betrachters mit den Werken von Winfried Herbst ein Dialog mit Zeit und Wahrnehmung. Ändert man die Blickwinkel, entdeckt man den Wechsel der Farbigkeit mit dem Licht, man erkennt neue Bezüge und Verbindungen und auch sich selbst im Bezug zum Bild. Die Naturerfahrung, die Winfried Herbst subtil vermittelt, sucht sich den Weg zu den subjektiven Erlebnissen und Erinnerungen des Betrachters.

Winfried Herbst geht es nicht um eine tieferliegende Bedeutungsebene, „ein warum, wieso, weshalb“ – nein – „es ist einfach so“. Die Kunst, sich den Dingen und Zufälligkeiten auszusetzen, ohne etwas Bestimmtes anzustreben, und diese dann bewusst wahrnehmen, zeichnet seine Arbeiten aus. Steht man vor diesen Arbeiten von Winfried Herbst, so ergeben sich unendliche Möglichkeiten des Wahrnehmens.

Der Regisseur Wim Wenders sieht dieses Wahrnehmen folgendermaßen:

„Beim Sehen ist für mich toll, das es anders als das Denken nicht eine Meinung von den Dingen beinhalten muss. Im Denken ist eigentlich in jedem Gedanken auch gleich die Meinung zu einem Ding, einem Menschen, einer Stadt, einer Landschaft immer mit enthalten. Das Sehen ist meinungsfrei, im Sehen kann man eine Einstellung finden zu einer anderen Person, zu einem Gegenstand, zur Welt, die meinungsfrei ist, wo man einer Sache oder einer Person

gegenübersteht, ein Verhältnis dazu hat, wahrnimmt. Das ist ein schönes Wort für Sehen, das schönere Wort für Sehen ist Wahrnehmen, weil da das Wort wahr drin ist. Das heißt, im Sehen ist für mich Wahrheit latent möglich. Viel mehr als im Denken, wo man sich selber vielmehr verirren kann, wo man sich entfernen kann von der Welt. Für mich ist das Sehen ein In-die-Welt-Eintauchen und das Denken immer ein Abstand-Nehmen.“ (Wim Wenders, The Act of Seeing, Frankfurt am Main: Verlag der Autoren 1992)

Text: Dr. Verena Hein

Kunsthistorikerin, Kontakt: verena.hein@gmx.de


schwarz • rot

Winfried Herbst

Film, DVD 13’ 11’’/ 1997

Ein schwarzes Quadrat an der Wand, zu zwei Dritteln von Seidenpapier bedeckt. Von links fällt der Schatten eines Mannes auf das Bild. Ein stilles Gegenüber, aufeinander ausgerichtet. Der Schatten nickt unmerklich. Das Seidenpapier hebt sich leicht von der Leinwand, legt sich wieder an. Der Schatten nickt auffordernder. Das Seidenpapier blättert auf, durchbricht den Schatten, löst dessen Konturen spielerisch auf und legt sich wieder glatt an die Leinwand an.

Der Schatten tritt nach links zurück, Schritte hallen durch den Raum. Von rechts erscheint der Schatten wieder, dieses Mal hinter dem Mann, dem er zugehört. Der Mann läuft an dem Bild vorbei. Erneut hebt sich leicht das Seidenpapier. Das Vorbeilaufen wiederholt sich aus der anderen Richtung und umgekehrt. Immer wieder, langsam und schneller. Schreiten und Laufen, Aktion und Reaktion. Dann folgt ein Moment der Stille, ganz auf das Werk konzentriert. Das Seidenpapier bewegt sich. Erst leicht, dann sich schnell aufblätternd, als habe es gelernt, sich von allein zu erheben, sich zu äußern.

Dann nahen Schritte. Schnell läuft der Mann an dem Bild vorbei, das Seidenpapier wird von der Bewegung mitgerissen, fast scheint es zu zerreißen, dann legt es sich wieder an. Der Mann erscheint von links, bleibt im Profil vor dem Bild stehen, teil es so in zwei Hälften. Dasselbe wiederholt sich von rechts. Das Bild scheint sich dabei jedes Mal zu verändern. Das kleine, vom Seidenpapier ausgesparte Quadrat in der linken oberen Ecke des Bildes tritt mit einem Mal in Erscheinung. Wenig später bleibt der Mann erneut vor dem Bild stehen. Er dreht sich frontal zur Kamera, steht mit dem Rücken zu seinem Bild und ist damit das erste Mal überhaupt zu erkennen. Dann geht er auf die Kamera zu, verdeckt das Objektiv. Das Objekt wird wieder freigegeben, der Mann tritt von der Kamera weg. Sein vormals weißer Overall ist nun schwarz, das Bild, immer noch zu zwei Dritteln von Seidenpapier bedeckt, rot. Der Prozess wiederholt sich. Nun ist der Zuschauer jedoch ein Eingeweihter. Er weiß um Aktion und Reaktion und wird dennoch in Spannung gehalten. Am Ende ist man wieder bei der Angangssituation angelangt. Der Schatten vor dem Bild. Aufeinander bezogen, im Austausch aufeinander ausgerichtet.

Der 1997 entstandene, 12 –minütige Film von Winfried Herbst erzählt vom Künstler und seinem Werk, von künstlerischer Auseinandersetzung als ein sich entwickelnder Prozess, als ein teils still, teils provozierend und teils aggressiv geführter Dialog. Er beginnt mit dem Blick des Künstlers auf sein Werk und endet mit dem Blick in die Kamera und der Freigabe des Werkes an den Betrachter.

Nach der Ausbildung zum Gebrauchsgraphiker an der Münchner Akademie für das graphische Gewerbe und dem Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München von 1964-1969, begann Winfried Herbst sich ab 1979 mehr und mehr der Malerei zuzuwenden. Parallel beschäftigte er sich immer auch mit der S/W – Fotografie, mit der er sich bis Mitte 1980er Jahre intensiv auseinandersetzte und die für ihn seitdem – ausnahmslos analog und seiner Malerei ebenbürtig – zu einer weiteren wesentlichen künstlerischen Ausdrucksform wurde. Seit 2001 entstehen verstärkt Landschafts – Fotobilder.

Seine seit Anfang der 1980er Jahre überwiegend gegenstandslose Malerei sperrt sich gegen eine stilistische Einordnung in die geläufigen Kategorien. Diese mit unterschiedlichen Farbqualitäten, Materialien und Techniken experimentierende Kunst kennzeichnet viel mehr eine stete Auseinandersetzung mit Struktur, ihrer Definition in der Fläche und ihrer Entwicklung aus der Fläche heraus.

Seine Werke sind niemals gefällig. Sie irritieren, verändern sich durch Blick- und Lichtwinkel und verlebendigen sich im Neben- und Gegeneinander ihrer Materialien. Es flimmert eine Unruhe

in ihnen, die fasziniert und die niemals gleichgültig lässt. Bereits die in den 1960er und 1970er Jahren entstandenen, atemberaubenden Zeichnungen zu Lampedusas „Der Leopard“, zu Villons „Balladen“ oder zu Brechts „Leben des Galilei“ üben auf den Betrachter eine eindringliche Sogwirkung aus. Aus einer Vielzahl sich verdichtender Linien entwickelt sich kongenial der Charakter des illustrierten Werkes, ein geheimnisvoller, dunkel modulierender Ton scheint in ihnen verborgen.

Mit wenigen Mitteln gelingt es diesem kurzen Film von den großen magischen Momenten der Kunstbetrachtung zu erzählen: Von der Auseinandersetzung und vom Dialog zwischen dem Künstler und seinem Kunstwerk und letztendlich zwischen dem Kunstwerk und seinem Betrachter.

Text: Dr. Sandra Uhrig

Kunsthistorikerin, Kontakt: sandra.uhrig@murnau.de


Winfried Herbst. Neue Galerie Dachau, 1994 – 1995

Die Bilder von Winfried Herbst sind begehbare Räume, in Schichten angelegt und zu Spaziergängen mit den Augen herausfordernd. Vor den Bildern wechselt man gerne den Blickwinkel, erforscht neue Gänge unter die schrundige Oberfläche, beobachtet den Wechsel der Farbigkeit im verschiedenartigen Licht. Konstruktives befindet sich neben Malerischem, wenn auch die Linie niemals zum mathematisch klaren und harten Gerüst wird. Im Gegenteil: wie von einem Windhauch bewegt und in spielerische Unordnung versetzt wirken die roten Linien in einem seiner jüngsten Bilder. Und selbst dort, wo die Technik eigentlich Härte und präzise Schlagkraft im wahrsten Sinne des Wortes fordert, wo die Bilder mit dem Schnitzeisen bearbeitet werden, die Farbschichten regelrechte „Wunden“ hineingepeitscht werden, selbst dort ist der Gesamteindruck nicht der der Härte und Kraft, sondern eher einer der Verletzbarkeit und Zartheit.

Hinter dem Stillen, meditativen Charakter der Arbeiten verbirgt sich ein ganzheitliches Weltbild, das in einer Zeit, wo oftmals wahllos Dinge und Worte aus ihrem Kontext gerissen werden, gut tut.

Text: Dr. Bärbel Kopplin

Kunsthistorikerin, Kontakt: baerbel.kopplin@unicredit.de